ChatGPT – Teil 11: Allgemeine Folgen für das Urheberrecht
Der Erfolg von ChatGPT und anderer generativer KI-Modelle führt dazu, dass immer mehr KI-generierte Erzeugnisse in Form von Texten, Bildern und Videos veröffentlicht werden. Oft sind diese von Werken menschlichen Ursprungs kaum noch unterscheidbar. Droht damit die vollständige Ablösung des Urhebers? Wird damit möglicherweise sogar das Urheberrecht als Ganzes ausgehebelt? Im elften Teil meiner Serie beleuchte ich die allgemeinen Folgen von generativer KI für den Schutz von Urheberrechten und die Auswirkungen auf die menschliche Kreativität.
Probleme für Verwertungsgesellschaften
Die zunehmende Verbreitung generativer und gemeinfreier Erzeugnisse wird insbesondere die Verwertungsgesellschaften vor besondere Probleme stellen, wenn diese Erzeugnisse von Werken menschlichen Ursprungs nicht mehr unterscheidbar sind. Auf der einen Seite sind Verwertungsgesellschaften gesetzlich verpflichtet, Rechte von Werken und ihres Tätigkeitsgebiets wahrzunehmen. Wenn jemand nun im Rahmen eines Berechtigungsvertrags nicht schutzfähige künstlich generierte Erzeugnisse zur Rechtewahrnehmung meldet, kann eine Verwertungsgesellschaft angesichts der gegenwärtig bereits hohen Qualität dieser Gebilde nicht mehr ohne Weiteres anhand objektiver Merkmale bestimmen, ob es sich tatsächlich um ein Werk im Sinne des Urheberrechts handelt. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, sind Verwertungsgesellschaften aufgrund ihrer treuhänderischen Verpflichtung den tatsächlich berechtigten Rechteinhabern sowie den Nutzern gegenüber gehalten, die Wahrnehmung der angemaßten Rechteinhaberschaft zu verweigern.
Das Identifizieren einer unberechtigten Urheberschaft wird den Verwertungsgesellschaften allerdings künftig erhebliche Mühe bereiten. Wenn der generative Ursprung von Werken nicht offengelegt wird, birgt dies auch im Verhältnis zu sonstigen Dritten immenses Konfliktpotential. Die Behauptung, das Urheberrecht einer Person an einem nur generierten Werk sei verletzt worden, wird die Justiz künftig wohl ebenso beschäftigen wie das Bestreiten der Werksqualität als Rechtsverteidigung.
Droht die vollständige Substitution des Urhebers?
Es stellt sich die Frage, ob angesichts der Verbreitung generativer KI die klassischen Autoren überflüssig werden und das Urheberrecht als Ganzes ausgehebelt wird. Unbestreitbar werden generative KI-Systeme in gewisser Weise in Konkurrenz zu den herkömmlichen Urhebern treten.
Die gemeinfreien generierten Erzeugnisse werden in einem bestimmten Umfang einen Markt substituieren, der bislang nur durch die von Urhebern geschaffenen Werke geprägt war. Dennoch erscheint es unwahrscheinlich, dass generative KI das Urheberrecht überflüssig machen oder Verwertungsmöglichkeiten vollständig verdrängen kann. Denn man darf nicht übersehen, dass generative KI-Systeme eben allein auf Basis einer Wahrscheinlichkeitsberechnung funktionieren und stets nur Vorhandenes imitieren, nicht jedoch originär Neues erschaffen können. Stilrichtungen in den bildenden Künsten, der Musik, der Literatur oder des Filmschaffens haben aber stets nur für eine begrenzte Zeit ihren Reiz und werden durch neue kreative Einfälle modifiziert oder grundlegend neu erschaffen. Dies vermag generative KI von ihrem Mechanismus her nicht zu leisten, so dass die Befürchtung einer vollständigen Substitution des Urhebers unberechtigt ist.
KI wird nicht die menschliche Kreativität ersetzen
Im Ergebnis zeigt sich, dass die gegen das Training generativer KI vorgebrachten Befürchtungen in vielen Fällen berechtigt sind. Vervielfältigungen zum Zwecke des Trainings dürften jedenfalls zu kommerziellen Zwecken wie im Falle von Midjourney, ChatGPT usw. nicht den Schranken der §§ 44b und 60 des Urheberrechtsgesetzes, da es nicht nur um die Erfassung von Informationen, sondern vor allem um die Ermöglichung der Nachbildung bestehender Werke geht. Hierfür müssten daher Möglichkeiten der Lizenzierung insbesondere von Seiten der betroffenen Verwertungsgesellschaften geschaffen werden. Autonom generierte Erzeugnisse können grundsätzlich keine schutzfähigen Werke sein, weil es keinen menschlichen Einfluss auf die Erstellung des konkreten Erzeugnisses gibt. Im Übrigen dürfte aus meinem Artikel über die prozessualen Folgen deutlich geworden sein, welche neuen Herausforderungen hinsichtlich der Prozessführung und Rechtewahrnehmung im urheberrechtlichen Bereich durch generative KI zu erwarten sind.
Man kann daher feststellen, dass generative KI den kreativen Bereich gewiss vor Herausforderungen stellen wird, gleichwohl aber die Sorge vor einer Substituierung menschlicher Kreativität unbegründet sein dürfte. Wie in vielen anderen Bereichen auch mag generative KI künftig ein wichtiges Hilfsmittel darstellen, ohne jedoch die eigentliche Kerntätigkeit des jeweiligen Berufsbilds verdrängen zu können. Nichtsdestotrotz wird das Urheberrecht durch generative KI aber sicherlich noch komplizierter werden als es bislang ohnehin schon war. Die sich abzeichnenden Probleme sollten sich mit dem bestehenden urheberrechtlichen Instrumentarium jedoch lösen lassen, ohne dass etwa der regulatorische Versuch einer Erfassung generativer KI auch im Hinblick auf Urheberrechte diesbezüglich einen Mehrgewinn verspricht.
Bisher erschienen:
ChatGPT – Teil 1: Welche Auswirkungen hat Generative KI auf den Rechtsbereich?
ChatGPT – Teil 2: Anwendungsfälle bei Strafverfolgung und Gefahrenabwehr
ChatGPT – Teil 3: Generative KI in der richterlichen Urteilsfindung
ChatGPT - Teil 5: Urheberrechtliche Fragen beim Training generativer KI
ChatGPT - Teil 6: Lizensierungserfordernisse beim Training generativer KI
ChatGPT - Teil 7: Urheberrechtliche Schutzfähigkeit KI-generierter Erzeugnisse
ChatGPT - Teil 8: Welchen Anteil haben Mensch und Maschine an der Gestaltungsleistung?
ChatGPT - Teil 9: Möglichkeiten und Grenzen des Urheberrechts beim Einsatz von KI
Dr. Daniel Kögel,
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
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