ChatGPT – Teil 9: Möglichkeiten und Grenzen des Urheberrechts beim Einsatz von KI
Computergenerierte Werke lassen sich dann am besten schützen, wenn die Software als reines Werkzeug eines Menschen zu begreifen ist. Was aber sagt das Urheberrecht, wenn ein Werk unabhängig von menschlicher Einflussnahme in nicht vorhersehbarer Weise generiert wird? Nachdem ich im achten Teil der Serie die Grenze zwischen maschinellem Erzeugnis und menschlichem Werk genauer beleuchtet habe, blicke ich in diesem neunten Teil auf die Regelungen des Urheberrechts und zeige die Schutzlücke auf, die sich durch die rasante Entwicklung der KI auftut.
Ohne Mensch kein Werk
Dem kontinentaleuropäischen Urheberrecht liegt ein anthropozentrischer Ansatz zu Grunde. Das Anknüpfen an den Schöpfer stellt aber nicht nur eine Voraussetzung, sondern zugleich eine Begrenzung urheberrechtlichen Schutzes dar. Ohne persönlichkeitsrechtlichen Einschlag ist ein Schutz – im Gegensatz zu sonstigen gewerblichen Schutzrechten – nicht möglich. In diesem Sinne hat der EuGH festgestellt, dass eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers nur dann vorliegt, „wenn darin seine Persönlichkeit zum Ausdruck kommt“. Urheberrechtlicher Schutz setzt nach herrschender Meinung an einer natürlichen Person und einer menschlich-gestalterischen Tätigkeit an.
In Bezug auf computergenerierte Werke ist also danach zu fragen, ob hinsichtlich des konkreten Werks ein Gestaltungsspielraum durch Auswahl und Anordnung gestalterischer Mittel durch einen Menschen ausgenutzt worden ist.
Sofern ein Computerprogramm unmittelbar oder in lediglich automatisierter Form zur Werkerstellung verwendet wird, stellt es letztlich ein reines Werkzeug zur Erzeugung eines Werks dar. Verwendet eine Person ein Computerprogramm, um hiermit – etwa einem Stift oder Instrument vergleichbar – ein Musikwerk oder Bildnis zu kreieren, so wird auch die Gestaltungsleistung von der Person selbst erbracht.
Menschenwerk und KI’s Beitrag
Anders ist dies in Fällen autonom generierter Schöpfungen, wobei stets danach zu fragen ist, inwieweit die Werkerstellung tatsächlich autonom erfolgt. Infolge der Weiterentwicklung von Computerprogrammen hin zu autonom agierender KI besteht der wesentliche – und auch beabsichtigte – Unterschied einer autonom handelnden KI zu einem vordefinierten automatisierten System gerade darin, Aufgaben selbstständig auszuführen und nur bedingt (oder nicht mehr) vorhersehbare Ergebnisse zu liefern.
Nicht immer lässt sich dies jedoch eindeutig bestimmen. Denn es besteht auch die Möglichkeit, dass ein Werk zum Teil je auf einem menschlichen und einem künstlich generierten Anteil fußt. Dabei wird zu Recht eingewandt, dass völlige Autonomie nur selten anzunehmen ist und auch autonome Schöpfungen einer KI nicht ohne menschliches Zutun entstehen können. So muss auch eine autonom ablaufende KI zunächst mit Trainingsdaten angelernt werden, um selbständig ablaufen zu können. Dabei basiert die Auswahl entsprechender Daten sowie die Bewertung der Lernerfolge – außer in Fällen völlig unüberwachten Lernens – auf menschlichem Betreiben.
Die Lehrer – Schüler-Analogie
Im Einzelfall kommt es stets darauf an, wie maßgeblich der menschliche Anteil für die konkrete Ausgestaltung ist. Um dies zu veranschaulichen, kann man eine Analogie ziehen zu dem Kunstlehrer, der seine Schüler ein Bild erstellen lässt: Umso mehr der Lehrer Vorgaben zu den verwendeten Farben, der Bildaufteilung, der Pinselführung, des Sujets usw. macht, wird der kreative Rahmen der Schüler eingeengt, so dass diese nur noch als „Werkzeug“ des Lehrers, nicht jedoch als originäre Urheber angesehen werden könnten.
Die Beeinflussung und Unterrichtung der Schüler in Bezug auf bestimmte Techniken oder Beispiele bestehender Werke belässt den Schülern genügend Spielraum für eine eigenständige kreative Entscheidung. Aus diesem Grunde kann das reine Anlernen einer KI etwa mit selbst gewählten Bildnissen nie dazu führen, dass die Person, die die Eingabedaten bestimmt, bereits als Urheber hinsichtlich eines Werkes anzusehen ist, welches unabhängig von weiteren Vorgaben selbständig entstanden ist.
Im Übrigen ist auch jeder menschliche Urheber von vorbestehenden Werken beeinflusst. Die reine Auswahlentscheidung reicht zur Schutzbegründung jedenfalls nicht aus. Sofern man daher zu dem Ergebnis gelangt, dass ein konkretes Erzeugnis tatsächlich in wesentlichen Teilen auf einer autonomen Gestaltung durch eine KI beruht und der menschliche Gestaltungsbeitrag nur untergeordnet ist bzw. das jeweilige Werk sich menschlicher Vorhersehbarkeit wesentlich entzieht, ist vom Fehlen einer menschlichen Gestaltungsleistung und somit von der Schutzlosigkeit des Produkts auszugehen. Dann liegt dem Erzeugnis ein derart weitgehend aleatorischer Gestaltungsanteil zugrunde, dass es nicht mehr als persönliche geistige Schöpfung und mithin nicht als „Werk“ im urheberrechtlichen Sinne angesehen werden kann.
Wie lässt sich die Schutzlücke schließen?
Nach geltendem Recht besteht keine Möglichkeit, urheberrechtlichen Schutz an autonom computergenerierten Werken zu begründen. Daher stellt sich die Frage, wie diese bestehende Schutzlücke im Rahmen einer Ergänzung der gesetzlichen Bestimmungen sinnvollerweise geschlossen werden könnte.
Zunächst erscheint es denkbar, auf den Programmierer der KI als denjenigen abzustellen, der die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass überhaupt autonom Werke generiert werden können. Hinsichtlich des Programmierers ist festzuhalten, dass dieser in Bezug auf das konkrete Erzeugnis und dem zugrundeliegenden Vorgang keinen unmittelbaren Beitrag geleistet hat. Er hat die KI allenfalls dazu befähigt, potenziell beliebige Ergebnisse hervorbringen zu können, ohne diese konkret vorhersehen zu können. Aus diesem Grunde erscheint eine Zurechnung an den Urheber des Computerprogramms alleine aufgrund seines Initialbeitrags nicht zielführend.
Aus ähnlichen Gründen erscheint auch eine Anknüpfung an denjenigen, der die maßgebliche Investition in die Entwicklung der zu kreativen Leistungen befähigten KI getätigt hat, unbillig, da es diesem – dem Programmierer vergleichbar – in vielen Fällen nur darum gehen wird, eine KI mit den entsprechenden Fähigkeiten entwickeln zu lassen und sie aufgrund dieser Eigenschaften zu vermarkten. Auf das konkrete Ergebnis kommt es ihm nicht an.
Anders wäre dies aber dann zu bewerten, wenn es sich beim Programmierer oder Investor auch um diejenige Person handelt, welche die KI unmittelbar und zielgerichtet dafür nutzt, ein autonom generiertes Werk herzustellen. Insofern erscheint ganz allgemein die Anknüpfung an den konkreten Nutzer der KI den richtigen Bezugspunkt zu bilden, da dieser dem eigentlichen Schöpfungsvorgang am nächsten steht. Dies führt allerdings in solchen Konstellationen zu unbefriedigenden Ergebnissen, in denen der konkrete Nutzer auf Weisung und im Interesse eines Dritten tätig wird oder sich unrechtmäßig Zugang zu einer KI verschafft, um diese ein Erzeugnis herstellen zu lassen. Um solche Fälle auszuschließen, sollte eine gesetzliche Regelung daher an den rechtmäßigen Inhaber des Nutzungsrechts an einer KI ansetzen, in dessen Interesse und auf dessen Betreiben hin das System im konkreten Einzelfall dazu verwendet wird, ein emergentes Werk zu erzeugen.
Fazit
Computergenerierte Werke dürften zwar dann geschützt sein, wenn die Software als reines Werkzeug eines Menschen zu begreifen ist. Sobald dem Erzeugnis allerdings in seinen wesentlichen Gestaltungselementen ein autonomer Entstehungsprozess zugrunde liegt und es unabhängig von menschlicher Einflussnahme in nicht vorhersehbarer Weise generiert wird, ist dieses rein artifizielle Werk aufgrund des strikt anthropozentrischen Ansatzes kein Werk im Sinne des Urheberrechtsgesetzes. Es besteht auch keine alternative Möglichkeit der Schutzbegründung für solch emergente Werke. Für die Verwendung kreativ tätiger KI folgt daraus die Gemeinfreiheit autonom generierter Werke, selbst wenn die Entwicklung solcher Systeme hohe Investitionen und viel Aufwand erfordert.
Die bestehende Schutzlücke müsste zur Absicherung der künstlich hergestellten Erzeugnisse im Interesse der Entwickler und Anwender entsprechender KI im Wege einer gesetzlichen Ergänzung geschlossen werden. Dabei dürfte es der Billigkeit entsprechen, hierzu ein Leistungsschutzrecht zugunsten des rechtmäßigen Inhabers des Nutzungsrechts an der verwendeten KI zu schaffen.
Analog zur rasant ansteigenden Entwicklung und Verbreitung von KI, die für die autonome Generierung kreativer Erscheinungen verwendet werden kann, erhöht sich das Bedürfnis für eine ergänzende Regelung des Urheberrechts. Hierfür erscheint aufgrund der grenzüberschreitenden Tragweite allerdings nur ein europäischer Sekundärakt sinnvoll.
Zuvor wird allerdings zu klären sein, ob rechtspolitisch tatsächlich ein solcher Leistungsschutz gewünscht ist. Schließlich weisen autonom generierte Werke keinen persönlichkeitsrechtlichen Bezug auf und sind grundsätzlich kein Ausdruck einer kreativen Verarbeitung von Ideen, Gedanken oder Empfindungen. Insofern erscheint eine wirtschaftliche Beteiligung an der Nutzung eines nicht auf einer Gestaltungsentscheidung beruhenden, sondern eher zufällig entstehenden Erzeugnisses nicht zwingend geboten. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass für die Generierung eines werkähnlichen Erzeugnisses kein Beitrag erforderlich ist, welcher einem Schöpfungsbeitrag nach § 2 Abs. 1 UrhG entspricht, selbst wenn man auf den Maßstab der kleinen Münze abstellt.
Wir unterstützen Sie dabei, relevante Entwicklungen im IT-Recht im Blick zu behalten beraten bei allen Aspekten rund um die Digitalisierung und den Einsatz von KI und Legal Tech. Dabei helfen wir ihnen, Themen zu identifizieren und vertraglich zu regeln.
Bisher erschienen:
ChatGPT – Teil 1: Welche Auswirkungen hat Generative KI auf den Rechtsbereich?
ChatGPT – Teil 2: Anwendungsfälle bei Strafverfolgung und Gefahrenabwehr
ChatGPT – Teil 3: Generative KI in der richterlichen Urteilsfindung
ChatGPT - Teil 5: Urheberrechtliche Fragen beim Training generativer KI
ChatGPT - Teil 6: Lizensierungserfordernisse beim Training generativer KI
ChatGPT - Teil 7: Urheberrechtliche Schutzfähigkeit KI-generierter Erzeugnisse
ChatGPT - Teil 8: Welchen Anteil haben Mensch und Maschine an der Gestaltungsleistung?
Dr. Daniel Kögel,
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
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