Der Koalitionsvertrag – was im (Steuer-) Strafrecht zu erwarten ist

(Steuer-)Strafrechtliche Änderungen unter der Ampel – Ein Verbleib beim Status quo oder tatsächlich „mehr Fortschritt“?

Die neue Koalition aus SPD, FDP und Bündnis 90 / DIE GRÜNEN steht. Unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ will die neue Bundesregierung Deutschland für die Zukunft rüsten. Auch das (Steuer-) Strafrecht soll dabei nicht zu kurz kommen. Wir haben uns den Koalitionsvertrag angese-hen, geplante Änderungen aus dem (Steuer-) Strafrecht – auszugsweise – unter die Lupe genom-men und die aus unserer Sicht wesentlichen Pläne der neuen Regierung zusammengefasst:

I. Zusammenarbeit Polizei und Justiz

Die Ampel möchte die grenzüberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit rechtsstaatlich intensivieren. Dabei möchte sie hohe Datenschutzstandards sichern und den grenzüberschreitenden Rechtsschutz verbessern. Beispielsweise soll Europol zu einem Europäischen Kriminalamt mit eigenen operativen Möglichkeiten weiterentwickelt werden und die Europäische Staatsanwaltschaft finanziell und personell ausgebaut werden.

II. Justiz

Die neue Koalition möchte des Weiteren Gerichtsverfahren schneller und effizienter gestalten. Unter anderem soll es zukünftig möglich sein, dass Verhandlungen online durchführbar sind, Beweisaufnahmen audiovisuell dokumentiert und mehr spezialisierte Spruchkörper eingesetzt werden.

Das Strafrecht soll Ultima Ratio bleiben und systematisch auf „Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche“ überprüft werden. Einen Fokus möchten die Regierungsparteien dabei auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz legen. Zudem möchte die neue Regierung das Sanktionensystem einschließlich Er-satzfreiheitsstrafen, Maßregelvollzug und Bewährungsauflagen mit dem Ziel von Prävention und Resozialisierung überarbeiten.

Last but not least plant die Koalition, Strafprozesse „effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher“ zu gestalten, ohne die Rechte der Beschuldigten und deren Verteidigung zu beschneiden. Unter anderem soll zukünftig die Verteidigung des Beschuldigten schon mit Beginn der ersten Vernehmung sichergestellt sein. Vernehmungen und Hauptverhandlungen sollen in Zukunft in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Darüber hinaus möchten die Parteien die Verständigung im Strafverfahren einschließlich möglicher Gespräche über die Verfahrensgestaltung und das grundsätzliche Verbot der Tatprovokation regeln. Gerichtsentscheidungen sollen künftig grundsätzlich – in anonymisierter Form – in einer Datenbank öffentlich und maschinenlesbar verfügbar sein.

III. Kampf gegen Organisierte Kriminalität („OK“)

Die Bekämpfung der OK, einschließlich der sog. Clankriminalität, soll zu einem Schwerpunkt der Sicherheitsbehörden werden. Dazu sollen mehr und bessere Strukturermittlungen durchgeführt und bestehende strafrechtliche Möglichkeiten, wie unter anderem die Vermögensabschöpfung ausgenutzt werden. Die neue Regierung möchte außerdem die Strukturen bei der Geldwäschebekämpfung optimieren.

IV. Freiheit und Sicherheit

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die Eingriffsschwellen für den Einsatz von Überwachungssoftware, auch kommerzieller Art, hoch angesetzt sein sollen und das geltende Recht so angepasst wird, dass der Einsatz nur nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für die Online-Durchsuchung zulässig ist. Des Weiteren soll die Befugnis des Verfassungsschutzes zum Einsatz von Überwachungssoftware im Rahmen der Überwachungsgesamtrechnung überprüft werden. Auch das Bundespolizeigesetz möchte man novellieren; die Befugnis zur Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung sollen nicht enthalten sein. Solange man zudem den Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung nicht sicherstellen könne, müsse der Einsatz von Überwachungssoftware unter-bleiben. Zum Schutz des Einzelnen sollen die Transparenz und die effektive Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden und das Parlament sichergestellt werden.

V. Unternehmensrecht

Hier möchte die neue Bundesregierung unter anderem die Vorschriften der Unternehmenssanktionen einschließlich der Sanktionshöhe überarbeiten, um die Rechtssicherheit von Unternehmen im Hinblick auf Compliance-Pflichten zu verbessern und für interne Untersuchungen einen präzisen Rechtsrahmen zu schaffen.

Weiter soll die EU-Whistleblower Richtlinie rechtssicher und praktikabel umgesetzt werden.

VI. Steuern – Vollzug, Vereinfachung und Digitalisierung

Der Koalitionsvertrag sieht darüber hinaus vor, dass das Bundesfinanzministerium für ein strategisches Vorgehen gegen Steuerhinterziehung, Finanzmarktkriminalität und Geldwäsche organisatorisch und personell ausgebaut wird und gleichzeitig auch der Zoll, das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) und die Financial Intelligence Unit (FIU) gestärkt werden.

Steuerprüfungen bei Unternehmen sollen modernisiert und beschleunigt werden.

VII. Bekämpfung Steuerhinterziehung und Steuergestaltung

Die neue Bundesregierung möchte Steuerhinterziehung und aggressive Steuergestaltungen mit größtmöglicher Konsequenz verfolgen und unterbinden. Sie setzt sich im Koalitionsvertrag zum Ziel, dass Deutschland beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und aggressiver Steuervermeidung eine Vorreiterrolle einnehmen solle. Auch den Umsatzsteuerbetrug möchte man konsequent bekämpfen. Zur Erreichung dieses Ziels möchte die Koalition schnellstmöglich – bundesweit einheitlich – ein elektronisches Meldesystem einführen, das für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen verwendet wird. Schließlich möchte die Ampel auch dafür sorgen, dass erlittene Steuerschäden konsequent zurückgefordert und eingezogen werden und der internationale Informationsaustausch ausgeweitet wird.

VIII. Geldwäsche und Schwarzarbeit

Die Koalition spricht sich nicht zuletzt auch für eine effektive und unabhängige EU-Geldwäschebehörde aus. Die FIU soll die notwendigen rechtsstaatlichen Befugnisse bekommen sowie Zugang zu allen nötigen Informationen erhalten. Dazu möchte man Verbindungsbeamte aus den Landeskriminalämtern in der FIU einsetzen. Auch die Qualität der Geldwäsche-Verdachtsmeldungen möchte man verbessern, indem die Verpflichteten eine stärkere Rückmeldung bekommen sollen.

Zu guter Letzt möchte man den Zoll moderner und digitaler aufstellen, damit dieser Schwarzarbeit und Finanzmarktkriminalität effizienter verfolgen kann.

IX. Bedeutung für die Praxis

Die neue Koalition sieht das Strafrecht als Ultima Ratio und möchte vor allem historisch überholte Straftatbestände überprüfen. Das ist erfreulich und wird – vermutlich zumindest teilweise – für eine Entkriminalisierung gewisser Straftatbestände sorgen.

Eine weitere – und überaus bemerkenswerte – Neuerung stellt die Aufzeichnung der Hauptverhandlung in Bild und Ton dar. Damit gäbe es erstmals in der Geschichte der Strafprozessordnung ein verlässliches und ausführliches Protokoll der Hauptverhandlung. Insbesondere für die Revisionspraxis wird diese Neuerung von zentraler Bedeutung sein. Erfreulich ist auch, dass die Rechte der Beschuldigten und ihrer Verteidiger ab der ersten Vernehmung sichergestellt und dadurch gestärkt werden sollen. Schließlich ist das Recht auf effektive Verteidigung einer der Grundpfeiler für ein faires Verfahren.

Im Bereich der Steuerhinterziehung sieht der Koalitionsvertrag keine Gesetzesverschärfungen vor. Stattdessen soll der Austausch zwischen den verschiedenen Behörden verbessert werden. Diese sollen dafür personell und organisatorisch gestärkt werden, statt mit immer weiteren Kompetenzen überfrachtet und dadurch vor allem auch überlastet zu werden. Auch das ist begrüßenswert.

Das Unternehmensstrafrecht wird im Koalitionsvertrag tendenziell stiefmütterlich behandelt. Zum in letzter Zeit viel diskutierten Verbandssanktionengesetz (VerSanG) schweigt der Koalitionsvertrag. Nachdem die Regierungsparteien das Strafrecht als Ultima Ratio ansehen, bleibt abzuwarten, inwiefern hier bestehende Gesetze reformiert oder neue Gesetzesvorhaben – eventuell durch einen neuen Anlauf eines VerSanG – eingebracht werden.

X. Fazit

Mit dem Koalitionsvertrag haben die neuen Regierungsparteien ein umfassendes Papier zu den Vorstellungen zur Zukunft unseres Landes vorgelegt. Das Strafrecht soll moderner und effizienter ausgestaltet, zurückhaltender angewendet und die Behörden mit mehr Personal ausgestattet wer-den. Die neue Bundesregierung hat sich damit hohe Ziele gesteckt und steht sicherlich vor großen Herausforderungen. Setzt sie ihre Vorhaben in die Tat um, wird man von echten Reformen im Be-reich des (erweiterten) Strafrechts sprechen können. Allerdings bleibt der Koalitionsvertrag zur konkreten Umsetzung der Vorhaben an vielen Stellen zu oberflächlich. Vor allem an der Finanzierung dürften einige der genannten Themen scheitern, sich – vermutlich – zumindest aber nicht in dem Umfang, wie es die neue Regierung plant, realisieren lassen.

Michael Oberbörsch,
oberboersch@web-partner.de