LegalTech: Wie Algorithmen das anwaltliche Berufsspektrum verändern

Die Digitalisierung hat längst in der juristischen Arbeit Einzug gehalten und Algorithmen verändern auch das anwaltliche Berufsspektrum. Technologie trägt dazu bei, die Effizienz und Qualität zu steigern und Kosten einzusparen. Diese Entwicklungen werden unter dem Begriff LegalTech zusammengefasst. Dabei ist das Spektrum groß: es kann sich dabei um einzelne Arbeitsprozesse, aber auch um ganze Rechtsdienstleistungen handeln.

Mit LegalTech verbindet sich vor allem eine spezifische Herangehensweise. Rechtsberatung wird nicht mehr nur als individuelle Dienstleistung, sondern auch als (teilweise) automatisierbares und damit skalierbares Produkt betrachtet. LegalTech erleichtert Juristen die tägliche Arbeit und sorgt dafür, dass sich juristische Berufe weiterentwickeln. Doch in welcher Form und Ausmaß Algorithmen künftig den Kernbereich juristischer Tätigkeit erfassen, ist umstritten.

Von Seiten des Gesetzgebers gibt es erste Ansätze, das Thema zu gestalten. In meinem Beitrag zum Verbraucherschutzgesetz habe ich untersucht, in welcher Form auch anwaltliche Dienstleistungen von Standardisierung und Automatisierung vor allem gegenüber Verbrauchern betroffen sind. In diesem Beitrag geht es um die Frage, ob und in welcher Form Software in der Kernkompetenz juristischer Verfahren, der Subsumption, eingesetzt werden kann. Dabei geht es um das Anwenden einer Rechtsnorm auf einen Lebenssachverhalt, also den konkreten Fall.

Subsumption: zwei unterschiedliche Ansätze

Bei der Frage, was unter Subsumption zu verstehen ist, gibt es zwei unterschiedliche Ansätze: Die Begriffs- und die Wertungsjurisprudenz. Bei der Begriffsjurisprudenz stehen alle Rechtsbegriffe in einer streng logischen Ordnung. Normen auf einer bestimmten Stufe lassen sich aus denjenigen der höheren Stufe ableiten, so dass ein hierarchisches System von allgemeinen zu konkreten Normen entsteht. Ein solches System basiert auf der Vorstellung, dass sämtliche Rechtsbegriffe unbeeinflussbar vorgegeben sind. In einer solchen streng logischen Rechtsordnung kann für jeden Sachverhalt das richtige Ergebnis durch Subsumption gefunden werden. Für eine Algorithmen-basierte Subsumption eigentlich eine ideale Voraussetzung, wäre da nicht ein entscheidender Haken: Es setzt voraus, dass ein solches Begriffssystem geschlossen und vollständig vorliegt und jeder Sachverhalt über eine logische Ableitung rechtlich eingeordnet werden kann. Für jeden Sachverhalt müsste also genau ein richtiges Ergebnis existieren.

Die andere Methode wird als Wertungsjurisprudenz bezeichnet. Auch sie basiert auf der Vorstellung eines Systems aus logischen Ableitungen. Aber im Unterschied zur Begriffsjurisprudenz agiert die Wertungsjurisprudenz nicht in einem lückenlosen System. Es wird akzeptiert, dass Rechtsbegriffe in den Randzonen unscharf sind. Das bedeutet, dass sie nicht nur logisch, sondern auch durch Bezug auf herrschende Normen ausgelegt werden können. Diese Unschärfe lässt sich somit durch normative, also wertende Subsumptionen schließen. Damit können aus demselben Gesetz verschiedene Ergebnisse abgeleitet werden. Eine solche Ansicht geht davon aus, dass Rechtsbegriffe dynamisch sind und damit die Subsumtion vom Standpunkt abhängt. Die Anwendung der Subsumtionsregeln kann also zu verschiedenen Ergebnissen führen.

Umgang mit Unschärfen erforderlich

Um mit diesen Unschärfen umzugehen, braucht es ein tiefes Verständnis von Sprache – insbesondere von Wortbedeutungen, dem jeweiligen Kontext und dem dahinterstehenden Wertesystem. Menschen können dies, Maschinen hingegen bisher nur in engen Grenzen. Die bestehenden Möglichkeiten, mittels Künstlicher Intelligenz (KI) die Bedeutung von Rechtsbegriffen zu bestimmen, sind (noch) limitiert. Darüber hinaus sind auch die Schritte, auf deren Basis eine KI zu Erkenntnissen kommt, nicht immer transparent (Black-Box-Problem).

Wenn sich aber Rechtsbegriffe nicht eindeutig in ihrer Bedeutung erschließen lassen, kann ein Computer auch keine rechtlichen Prüfungen in solchen Randbereichen vornehmen. Ein geschlossenes und in sich komplett logisches System ist die Voraussetzung dafür, dass Computer die Arbeit von Menschen übernehmen können. Sobald außergewöhnliche Umstände ins Spiel kommen, ist der Kollege Computer überfordert. Um es in den Kontext der juristischen Subsumtion zu bringen: Algorithmische Systeme können nur die kausalen, nicht aber die normativen Subsumtionsschritte durchführen.

Einsatzbereiche von LegalTech

Somit kann LegalTech bei eng definierten Standardprozessen hilfreich sein. Zudem kann Technologie bei vielen Vorleistungen zur eigentlichen Urteilsfindung beitragen. Dazu zählen:

• Anwendungen, die die Arbeit der Juristen unterstützen, z. B. Software zur Dokumentenverwaltung, Kanzleiorganisation, Online-Datenbanken.
• Technologien, die die Arbeit von Anwälten in einzelnen Bereichen (teil-)automatisieren, z. B. Dokumentenanalyse-Tools oder Vertragsgeneratoren.
• Plattformen, die Anwälte untereinander und mit Mandanten vernetzen, wie z.B. die Common Legal Platform (CLP) auf Basis der europäischen Cloud-Initiative Gaia X.
• Online-Rechtsdienstleistungen und Geschäftsmodelle, die einen besseren Zugang zum Recht ermöglichen, insbesondere bei niedrigen Streitwerten z.B. zu Inkassodienstleistungen und Fluggastrechten sowie bei Bußgeldbescheiden. In solchen Bereichen lässt sich die Rechtsberatung nahezu vollständig automatisieren. Maschinen können Fälle, die hundertfach immer wieder in ähnlicher Weise vorkommen, großenteils selbständig erledigen. Die Software übernimmt den kompletten Prozess von der Aufnahme der Daten bis zum Antrag auf Schadenersatz. Lediglich wenn der Fall vor Gericht geht, kommen wieder die Anwälte zum Einsatz.

LegalTech verändert das juristische Arbeiten

In der Rechtsprechung gibt es bisher nur wenige Entscheidungen zu LegalTech-Anwendungen. Doch das wird sich ändern. Aufgrund der vielfach unklaren Rechtslage werden sich Gerichte in den nächsten Jahren vermehrt mit deren Zulässigkeit beschäftigen. Auch das anwaltliche Berufsrecht und die damit zusammenhängende Gesetzgebung setzt sich mit den Anforderungen und Möglichkeiten von Legal Tech auseinander.

Es macht auch deutlich, was LegalTech nicht leisten kann: Der Umgang mit Unschärfen, das Auslegen von Sachverhalten innerhalb eines juristischen Systems im Kontext von gesellschaftlichen Normen und Werten, die immer auch einem Wandel unterliegen. Algorithmen werden uns in Zukunft viele Vorarbeiten abnehmen, aber bei der eigentlichen Rechtsberatung bleiben Anwälte mit ihren fachlichen Spezialisierungen, Netzwerken und Erfahrungen weiterhin die relevante Anlaufstelle.

Maren Bianchini-Hartmann, LL.M. (Fordham University School of Law),
Rechtsanwältin | attorney-at-law (New York)
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