Tax Compliance, steuerstrafrechtliche Haftung und das kommende Unternehmensstrafrecht

Es sind spannende Zeiten in Berlin – nicht nur für Parteien und Politiker, sondern auch für Unternehmen und ihre Berater. Die Koalitionsverhandlungen sind in vollem Gang und wir sind gespannt, welches Farbenspiel uns die kommenden vier Jahre bescheren werden.

Steuerstrafrechtliche Meilensteine der vergangenen Legislaturperiode

Lässt man einmal die vier Jahre der vergangenen Legislaturperiode aus steuerstrafrechtlicher Sicht Revue passieren, ragen drei Themen heraus, die die Unternehmen und Unternehmer als auch deren Berater in den kommenden Jahren und Jahrzehnten beschäftigen werden.

Da ist zum einen die Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung. Die Verjährungsfrist beträgt in diesen Fällen inzwischen fünfzehn Jahre, die absolute Verjährung das Zweieinhalbfache davon. Berücksichtigt man eine zusätzlich mögliche Ablaufhemmung von fünf Jahren bei einer Anklage zum Landgericht, ergibt sich eine Maximalverjährung von sagenhaften 42 ½ Jahren. Der besonders schwere Fall beginnt dabei schon bei einer Hinterziehung von mehr als 50.000 EUR. In der Praxis heißt das: Ein ambitionierter Berufseinsteiger in der Steuerabteilung eines Unternehmens, der dafür sorgt, dass das Unternehmen – wenn auch illegal – Steuern spart, kann dafür bis zu seinem Eintritt ins Rentenalter bestraft werden. Es ist also nur wenig übertrieben zu sagen, dass Mord und Steuerhinterziehung praktisch nicht mehr verjähren. Und Achtung: Die Verfolgungsverjährung wirkt sich auch auf die steuerliche Festsetzungsverjährung aus, die in Hinterziehungsfällen nicht vor der Verfolgungsverjährung abläuft (§ 171 Abs. 7 AO).

Zweitens haben wir im vergangenen Jahr beobachtet, wie der Gesetzgeber die strafprozessuale Einziehung bei schweren Steuerstraftaten erheblich ausgeweitet hat. Einziehung bedeutet, dass die Gerichte hinterzogene Steuern abschöpfen können bzw. sogar abschöpfen müssen – und zwar bei den Tätern als auch bei den begünstigten Unternehmen. Das geht seit letztem Jahr auch dann noch, wenn die Steueransprüche eigentlich verjährt sind. Die Festsetzungsverjährung bei Steuerhinterziehung von zehn Jahren (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO) ist dafür irrelevant. Für die Einziehung gilt vielmehr eine Verjährung von 30 Jahren. So weit in die Vergangenheit kann sich der Staat also hinterzogene Steuern zurückholen.

Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes

Ein weiteres Gesetzgebungsvorhaben hat allerdings aus Compliance-Perspektive alle anderen in den Schatten gestellt, und das, obwohl es vor Ende der Legislaturperiode gar nicht mehr umgesetzt wurde, nämlich die geplante Einführung eines Unternehmensstrafrechts. Über Jahre haben wir die Diskussion über das sogenannte Verbandssanktionengesetz gespannt verfolgt. Viele waren sich sicher: In Zukunft können nicht nur Individualpersonen bestraft werden, sondern auch Unternehmen. Das wäre in Deutschland ein Novum. Die überwiegende Öffentlichkeit begrüßte die Initiative von Union und SPD, andere kritisierten die Gesetzesentwürfe als überflüssig, handwerklich schlecht gemacht oder überzogen – vor allem mit Blick auf den Strafrahmen von bis zu 10% des weltweiten Konzernumsatzes. Das Gesetzesvorhaben wurde mit der Bundestagswahl vom 26. September schließlich Opfer der Diskontinuität.

Was kommt jetzt?

In den Wahlprogrammen von Union und SPD zur Bundestagswahl 2021 sucht man das Unternehmensstrafrecht vergebens; anders als etwa bei den Grünen und der Linken. Ich wage dennoch die Prognose: Ein Unternehmensstrafrecht wird kommen. Dafür gibt es gute Gründe:

• Die neue Regierung wird hinter den geweckten Erwartungen der letzten Jahre nicht zurück-bleiben können oder wollen, zumal die wesentlichen Vorarbeiten schon geleistet sind. Zu-dem hat der Gesetzgeber mit der 10. GWB-Novelle Bestandteile des geplanten Unternehmensstrafrechts bereits umgesetzt.
• Immer neue Skandale sorgen für eine empörte Öffentlichkeit. „Cum/ex“ hat gezeigt, welche gravierenden Gesetzesänderungen einzelne Ermittlungsverfahren auslösen können. Die Verlängerung der Verfolgungsverjährung und die Ausweitung des Einziehungsrechts, die ich angesprochen habe, sind dafür die besten Beispiele. Offenbar besteht ein Bedürfnis, Unternehmensstraftaten härter zu ahnden, als es derzeit mit den Mitteln des Ordnungswidrigkeitenrechts möglich ist.
• Andere Staaten haben seit langem ein Unternehmensstrafrecht und fordern vergleichbare Standards auch in Deutschland.

Wenn man bedenkt, wie weit das Gesetzgebungsvorhaben zuletzt gekommen war, ist zu vermuten, dass das Unternehmensstrafrecht in ganz ähnlicher Form kommen wird, wie es in den jüngsten Entwürfen zum Verbandssanktionengesetz schon auf dem Tisch lag. Unter den unzähligen Neuerungen ragen dabei drei Säulen heraus.

Verfolgungszwang

Erstens: Die Einführung des Legalitätsprinzips. Der Entwurf zum Verbandssanktionengesetz sah vor, dass die Staatsanwaltschaften beim Anfangsverdacht einer Unternehmensstraftat Ermittlungen auf-nehmen müssen – ein Verfahren gegen individuell Beschuldigte, ein weiteres gegen das Unter-nehmen. Dieser Verfolgungszwang wird nicht nur zu einer erheblichen Mehrbelastung bei den Behörden führen, sondern auch zur Stigmatisierung des Unternehmens als Beschuldigter in einem Strafverfahren, verbunden mit Reputationsrisiken und Berichtspflichten, z.B. gegenüber Aufsichtsorganen und Shareholdern.

Anreize zur Unternehmenscompliance

Zweitens: Die erhebliche Stärkung der Unternehmenscompliance. Das Unternehmensstrafrecht wird an vielen Stellen massive Anreize setzen, ein Compliance Management System einzurichten und zu unterhalten. Das beinhaltet selbstverständlich auch die Steuer. Das Gesetz wird Unternehmen, die sich um Compliance bemühen, u.a. mit Sanktionsmilderungen bis hin zu einem Absehen von Strafe belohnen. Das Management wird deshalb damit gar nicht anders können, als die Compliance-Organisation auf Stand zu bringen. Anderenfalls drohen Schadensersatzansprüche und sogar straf-rechtliche Haftung wegen des Vorwurfs der Untreue. All das ist seit langem bekannt, etwa aus dem Urteil des Landgerichts München in der Sache Siemens/Neubürger, oder aus der Panzerhaubitzenentscheidung des Bundesgerichthofes und – speziell im Steuerstrafrecht – aus dem Anwendungserlass zu § 153 AO.

Interne Untersuchungen und Kooperation mit den Verfolgungsbehörden

Der dritte Pfeiler des künftigen Unternehmensstrafrechts wird die Privatisierung der Strafverfolgung durch interne Untersuchungen sein. Im Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes hieß es dazu: Das Gericht soll die Unternehmensstrafe mildern, wenn das Unternehmen wesentlich dazu beiträgt, dass die Unternehmensstraftat aufgeklärt wird. Auch das ist ein Teil von Compliance.

Für die Mitarbeiter im Unternehmen heißt das zunächst einmal nichts Gutes. Schon jetzt beobachten wir, dass interne Untersuchungen häufig intensiver und schärfer geführt werden als Ermittlungen der Steuerfahndung oder Staatsanwaltschaft. Mit den Untersuchungen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass neben einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung weitere Straftaten aufgedeckt werden, wie z.B. eine Untreue, Urkundenfälschung oder Bestechung. Die inzwischen üblichen Amnestieprogramme der Unternehmen helfen den betroffenen Mitarbeitern nur bedingt weiter. Sie versprechen zwar Verschonung von arbeitsrechtlichen Sanktionen oder Unterstützung durch einen Rechtsbeistand. Die individuelle Strafverfolgung können sie aber ebenso wenig verhindern wie die steuerliche Haftung nach § 69 und § 71 AO.

„Ununterbrochene und uneingeschränkte Zusammenarbeit“

Bei den internen Untersuchungen forderte der Entwurf zum Verbandssanktionengesetz, dass das Unternehmen „ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeitet“. Für die Unternehmen wird diese „ununterbrochene und uneingeschränkte Kooperation mit den Verfolgungsbehörden“ zum unkalkulierbaren Risiko. Was passiert, wenn die interne Untersuchung Unzulänglichkeiten in der Steuerorganisation aufdeckt? Diese Erkenntnisse können mit Sicherheit in Strafverfahren gegen betroffene Individualpersonen verwertet werden. Doch was ist mit dem Besteuerungsverfahren? Führt die interne Untersuchung dazu, dass die Finanzbehörde die Beweiskraft der Buchführung verwirft? Gibt sie dem Finanzamt die Befugnis zur Schätzung der Be-steuerungsgrundlagen? Ich kann nicht erkennen, was sie daran hindern sollte.

Ein weiterer Punkt: Bedeutet „ununterbrochene und uneingeschränkte Kooperation mit den Verfolgungsbehörden“, dass das Unternehmen gegen Änderungsbescheide keinen Einspruch mehr ein-legen darf? Und wie ist auszuschließen, dass die Finanzbehörden Pflicht zur Kooperation als Druckmittel einsetzen, z.B. bei Verhandlungen über eine tatsächliche Verständigung? Bereits heute beobachten wir, dass Betriebsprüfer mehr oder weniger unverhohlen die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen als Drohszenario einsetzen, um ihre Prüfungsfeststellungen „einigungsfest“ zu machen. Vieles ist hier noch ungeklärt – die Aussichten sind aber eher düster.

Wechselwirkung mit der Selbstanzeige

Zuletzt einige Gedanken zu den erwartbaren Auswirkungen des Unternehmensstrafrechts auf die Selbstanzeige. Der Entwurf des Verbandssanktionengesetz sah zuletzt vor, dass ein Unternehmen nicht wegen einer Tat bestraft wird, die „wenn eine Strafe ausgeschlossen oder aufgehoben ist“. Die Selbstanzeige führt zur persönlichen Strafbefreiung beim Anzeigeerstatter und würde deshalb auch die Unternehmensstrafe verhindern.

Zunächst einmal: Die Selbstanzeige wirkt strafbefreiend nur für die Steuerhinterziehung. Andere Straftaten, die häufig mit einer Steuerhinterziehung zusammenhängen können, bleiben weiter verfolgbar wie z.B. Untreue, Urkundenfälschung oder Korruptionsdelikte.

Vollständigkeit der Selbstanzeige

Im Hinblick auf die Steuerhinterziehung wirkt die Selbstanzeige nur dann strafbefreiend, wenn sie vollständig ist. Das setzt – erstens – die inhaltliche Vollständigkeit voraus, d.h. sie muss „alle Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang“ umfassen. Das alleine kann schon eine echte Herausforderung sein. Denken wir an eine umsatzsteuerliche Organschaft mit einem Dutzend oder mehr Organgesellschaften. Hier alle steuerlichen Fehler zu entdecken, die eine Steuerfahndungsstelle möglicherweise als Steuerstraftat werten könnte, ist für sich betrachtet schon ein Kunststück.

Zudem muss die Selbstanzeige in zeitlicher Hinsicht vollständig sein; sie hat alle unverjährten Steuerstraftaten zu umfassen, mindestens aber alle Steuerstraftaten der vergangenen zehn Kalenderjahre. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nochmals an die jüngst eingeführte Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung auf 15 Jahre. Das wird in den kommenden Jahren auch für die Selbst-anzeige der Maßstab werden.

Mit Blick auf das Unternehmensstrafrecht kommt nun ein weiterer Aspekt dazu: Die personelle Vollständigkeit. Eine Unternehmensstrafe ist nur dann ausgeschlossen, wenn jeder Täter und jeder Gehilfe einer Steuerhinterziehung eine wirksame Selbstanzeige abgibt. Das betrifft aktive wie ausgeschiedene Mitarbeiter, angefangen bei der Unternehmensführung über den Leiter der Steuerabteilung bis hin zu Mitarbeitern der Finanzbuchhaltung. Interessenkonflikte zwischen dem Unternehmen und den vielen Betroffenen sind vorprogrammiert. Manch einer wird sich das erhebliche Interesse des Unternehmens an einer vollständigen Selbstanzeige zunutze machen und verlangen, dass ihn das Unternehmen schadlos von steuerlicher Haftung, Zinsen und Zuschlägen hält. Andere werden die Teilnahme an einer Selbstanzeige verweigern oder sind kurzfristig einfach nicht aufzufinden. Die Selbstanzeige wird also noch einmal ein ganzes Stück schwieriger.

Fazit

Ein wirksames Tax CMS zu planen, umzusetzen und zu betreiben, ist eine veritable Herausforderung. Der Blick auf die jüngsten und künftigen Entwicklungen im Steuerstrafrecht zeigt, dass diese Aufgabe wohl noch komplexer und wichtiger für jedes Unternehmen ist als ohnehin schon angenommen. Zahllose Fragen sind dabei noch ungeklärt und wir haben es sicher noch über Jahre mit einem „moving target“ zu tun.

Dr. Hilmar Erb,
Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht
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