Digitale Produkte: der neue Mangelbegriff

Die Umsetzungen der Warenkaufrichtlinie und der Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen stellen wohl die weitreichendste Reform des BGB-Vertragsrechts seit der Schuldrechtsreform dar. Das Schuldrecht wird digitaler und Verbraucherrechte werden gestärkt. Auch für Kaufverträge im unternehmerischen Verkehr gilt eine Kaufsache nur noch dann als frei von Sachmängeln, wenn sie neben objektiven auch subjektiven Anforderungen entspricht. Eine Abstufung unter den einzelnen subjektiven und objektiven Anforderungen wird nicht mehr vorgenommen.

Nach den Neuerungen ist die Beurteilung eines Sachmangels nach objektiven Kriterien nicht mehr zu umgehen. Für die Hersteller von IT-Produkten generell, insbesondere von Softwareprodukten und digitalen Produkten, ergeben sich damit auch erhöhte Risiken, bei Sachmängeln in Anspruch genommen zu werden.

Objektiver und subjektiver Mangel gleichgestellt
Kernstück der Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen sind die neuen Bestimmungen über die Sachmängelhaftung, also die verschuldensunabhängige Haftung des Unternehmers für Sachmängel und Rechtsmängel. Wird das digitale Produkt einmalig bereitgestellt (z.B. als App zum Download), kommt es auf den Zeitpunkt der Bereitstellung an. Bei Verträgen über eine dauerhafte Bereitstellung (z.B. Bereitstellung von Cloud-Speicherplatz oder Teilnahme an einem sozialen Netzwerk) ist der gesamte Bereitstellungszeitraum maßgeblich. Das Gesetz unterscheidet in Bezug auf Sachmängel zwischen drei Typen von Anforderungen:

• subjektive Anforderungen
• objektive Anforderungen
• Anforderungen an die Integration.

Die subjektiven Anforderungen ergeben sich aus

• der vereinbarten Beschaffenheit (einschließlich der Anforderungen an Menge, Funktionalität, Kompatibilität und Interoperabilität),
• der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung,
• der Bereitstellung des im Vertrag vereinbarten Zubehörs, Anleitungen und Kundendienst und
• der Bereitstellung der im Vertrag vereinbarten Aktualisierungen.

Die objektiven Anforderungen an digitale Produkte sind geknüpft an

• die Eignung für die gewöhnliche Verwendung,
• das Vorliegen der üblichen Beschaffenheit, die der Verbraucher erwarten kann,
• die Bereitstellung von Zubehör und Anleitungen, deren Erhalt der Verbraucher erwarten kann,
• die Vereinbarkeit mit der Beschaffenheit einer Testversion,
• die Bereitstellung der Aktualisierungen,
• die Bereitstellung der neuesten verfügbaren Version.

Von den objektiven Anforderungen an digitale Produkte kann vertraglich nur abgewichen werden, wenn der Verbraucher vor Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal des digitalen Produkts von diesen objektiven Anforderungen ab-weicht, und diese Abweichung im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.

Pflichten zur Aktualisierung
Die Pflichten zur Aktualisierung sind zentral für die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit und Sicherheit digitaler Inhalte und Dienste. Der Unternehmer hat sicherzustellen, dass dem Verbraucher während des maßgeblichen Zeitraums Aktualisierungen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit des digitalen Produkts erforderlich sind, bereitgestellt werden und der Verbraucher über diese Aktualisierungen informiert wird. Dies betrifft insbesondere auch Sicherheitsaktualisierungen und auch geänderte gesetzliche Anforderungen. Diese Unternehmerpflichten gehören zu den objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit, weshalb eine Abbedingung nur durch eine besonders qualifizierte Vereinbarung möglich ist.

Verjährungsfrist eingeführt
Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Grundsatz dafür entschieden, lediglich eine Verjährungsfrist einzuführen, und nicht – wie teilweise in ausländischen Rechtsordnungen üblich – eine Kombination aus Haftungsfrist (während derer sich der Mangel gezeigt haben muss) und Verjährungsfrist (während der die Rechtsbehelfe geltend gemacht werden müssen).

Rechtsmagel
Ein Mangel kann auch darin bestehen, dass der Verbraucher durch die Nutzung digitaler Produkte Rechte Dritter, insbesondere Urheberrechte, verletzt. Der Unternehmer kann die Anforderungen an die Rechtsmängelfreiheit dadurch erfüllen, dass er die erforderlichen Nutzungsrechte selbst von den Rechtsinhabern erwirbt und diese dann dem Verbraucher im Weg einer Unterlizenz einräumt, wie dies etwa bei Streamingplattformen regelmäßig der Fall ist. Möglich ist aber auch ein Lizenzvertrag zwischen dem Verbraucher und einem nicht am Vertrag über das digitale Produkt beteiligten Rechtsinhaber, wie dies häufig bei Software praktiziert wird. Aber auch wenn dem Verbraucher nicht alle erforderlichen Nutzungsrechte eingeräumt wurden, wird es aufgrund der Schranken für vorübergehende und private Vervielfältigungen in der Praxis nur in wenigen Fällen zu Rechtsverletzungen durch den Verbraucher kommen.

Klärungsbedarf in der Praxis
Eine der nun bestehenden Herausforderung wird es sein zu klären, bei welchem Kaufvertrag auf welche der neuen Vorschrift zurückzugreifen ist. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dazu entschieden, die Regelungen zu digitalen Produkten in das Allgemeine Schuldrecht aufzunehmen und keinen neuen Vertragstyp, sondern vielmehr typenübergreifende Bestimmungen zu schaffen. Der Gestalter von AGB und Vertragsmuster kommt also auch künftig nicht daran vorbei, Verträge über digitale Produkte einem Vertragstyp zuzuordnen oder nach den Regeln über atypische bzw. gemischt-typische Verträge zu behandeln.

Je mehr Komplexität ein digitales Produkt aufweist, desto mehr Risiken ergeben sich aus den objektiven Anforderungen, soweit nicht auf einen anerkannten und feststellbaren Stand der Technik oder eine gesetzliche Regelung, um deren Lösung es geht, zurückgegriffen werden kann. Wir beraten Unternehmen bei den Neuerungen im Vertragsrecht, der Identifikation relevanter Themen und der konkreten Umsetzung in den vertraglichen Regelungen.

Michaela Witzel, LL.M. (Fordham University School of Law), Fachanwältin für IT-Recht
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