Kindesunterhalt: BGH bestätigt Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle

Kinder müssen ihren Unterhaltsbedarf künftig nicht mehr, wenn sie einen höheren Unterhalt als aus der bisher höchsten Einkommensgruppe beanspruchen, diesen zwingend konkret ermitteln, wenn das Einkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils über 5.500 Euro liegt. Der BGH hat in seinem Beschluss vom 16.9.2020 neu entschieden, dass die Unterhaltspflicht nach der sogenannten Düsseldorfer Tabelle fortgeschrieben werden kann (XII ZB 499/19 = BeckRS 2020, 29627). Damit ergibt sich entsprechend dem höheren Einkommen der Eltern ein höherer Prozentsatz des Mindestunterhalts.

Auskunft über tatsächliches Einkommen

Wie sich das BGH-Urteil konkret auswirkt, verdeutlicht folgendes Fallbeispiel: Aus einer 2010 geschlossenen und 2014 geschiedenen Ehe ist eine Tochter im Juni 2011 hervorgegangen. Deren Unterhaltsanspruch war im Rahmen einer Scheidungsfolgenvereinbarung bis Juni 2019 zeitlich befristet. Der Vater ist Geschäftsführer eines Verlags und weiterer Gesellschaften. Für die Zeit ab Juli 2019 hat sich der Vater für unbegrenzt leistungsfähig erklärt und dem Kind eine Zahlung in Höhe von 160 % des Mindestunterhalts (bisheriger Höchstbetrag nach der Düsseldorfer Tabelle) zugesagt. Die Tochter verlangt vom Vater nun Auskunft über dessen tatsächliches Einkommen. AG und OLG haben den Vater zur entsprechenden Auskunft verpflichtet. Die Rechtsbeschwerde des Vaters ist ohne Erfolg.

BGH bestätigt Auskunftspflicht

Der BGH bestätigt die Auskunftspflicht des Vaters aus mehreren Gründen. Dabei gibt er seine bisherige Rechtsprechung zur Bedarfsermittlung beim Kindesunterhalt in einem wesentlichen Punkt auf. Zum einen wird die Auskunft vom Vater deshalb geschuldet, weil die Tochter anhand der Einkommensverhältnisse der Eltern in der Lage sein muss, die jeweiligen Haftungsquoten zu berechnen, wenn sie Mehr- oder Sonderbedarf geltend machen will. In diesem Punkt hat sich die Rechtsprechung nicht geändert.

Wenn es um die Höhe des laufenden Unterhalts geht, schützt hingegen die Erklärung zur unbegrenzten Leistungsfähigkeit nicht vor dem Erteilen der Auskunft. Dieser Einwand bezieht sich ausschließlich auf die Frage der Leistungsfähigkeit für den Bedarf eines Kindes. Es folgt daraus jedoch nicht, dass auch der Unterhaltsbedarf ohne Rücksicht auf die Höhe des Einkommens oder Vermögens des barunterhaltspflichtigen Elternteils ermittelt werden kann. Bei minderjährigen Kindern erfolgt die Bedarfsbemessung nach der Lebensstellung des Kindes. Bis zum Abschluss der Ausbildung leitet sich diese von den Eltern ab.

Kinder sollen teilhaben

Der angemessene Bedarf wird anhand der Düsseldorfer Tabelle bemessen. Es handelt sich hierbei um eine Richtlinie, die anhand der wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern und dem Kindesalter eine „gleichmäßige Behandlung gleicher Lebenssachverhalte“ ermöglichen soll. Bisher hat der BGH eine Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle bei Einkommen über 5.500 Euro abgelehnt und die konkrete Bedarfsermittlung verlangt. Diese Rechtsprechung gibt der BGH nunmehr auf. Er verweist auf die zum Ehegattenunterhalt ergangene Entscheidung, wonach auch bei Einkommen über 5.500 Euro die Quotenmethode zur Bedarfsberechnung anzuwenden ist und keine konkrete Bedarfsberechnung erforderlich ist (BGH, NJW 2018, 468 und NZFam 2019, 1087).

Da Kinder ihre Lebensstellung von den Eltern ableiten, muss dies auch für den Kindesunterhalt in ähnlicher Weise gelten. Wie schon in der bisherigen Rechtsprechung sollen Kinder entsprechend ihrem Alter an der besonders günstigen wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern teilhaben. Die Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle führt auch nicht zu einer bloßen Teilhabe am Luxus oder versteckten Vermögensbildung des betreuenden Elternteils. Zudem ist die Düsseldorfer Tabelle degressiv aufgebaut. Die Teilhabe am Einkommen des Barunterhaltspflichtigen sinkt also bei höherem Einkommen. Gegebenenfalls sind auch die Spannen der Einkommensgruppen größer zu fassen. Unabhängig davon bleibt dem Kind nach wie vor die Möglichkeit, einen konkreten höheren Bedarf dazulegen.

Höherer Unterhalt auch ohne konkreten Bedarf

Es ist nicht erforderlich, dass das Kind an den besonders günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Barunterhaltspflichtigen teilhatte. Der BGH weist ausdrücklich darauf hin, dass auch spätere Einkommenssteigerungen zu dieser neuen Handhabung führen. Es bedarf keiner „Gewöhnung“ des Kindes an den Lebensstandard. Auch kann sich der Bedarf des Kindes altersbedingt erhöhen bzw. mit zunehmendem Alter können erstmals neue Bedarfspositionen dazu kommen.

Der betreuende Elternteil des unterhaltsberechtigten Kindes, deren barunterhaltspflichtiger Elternteil mehr als monatlich durchschnittlich 5.500 Euro verdient, kann künftig höheren Unterhalt fordern, wenn er bisher den Höchstbetrag nach der Düsseldorfer Tabelle von 160 % des Mindestunterhalts bekommen hat. Wenn man die Düsseldorfer Tabelle schematisch mit einer Steigerung von 8 % und Einkommensschritten von 400 Euro fortschreibt, dann wären z.B. bei einem Einkommen von 11.000 Euro monatlich 270 % des Mindestunterhalts geschuldet, d.h. 110 % mehr. Beispielhaft hätte ein Kind zwischen 12 und 17 Jahren dann nicht nur einen Unterhalt von 694 Euro zu bekommen, sondern 1.172 Euro. Der Elternteil, bei dem das minderjährige Kind lebt, muss das ausdrücklich einfordern, entweder persönlich oder über einen Anwalt. Rückwirkend kann es nicht verlangt werden. Besteht gerade noch Streit über die Höhe des Kindesunterhalts, dann kann die Erhöhung auch rückwirkend relevant werden. Gerne stehen wir betreuenden Eltern und unterhaltspflichtige Kinder für ein Beratungsgespräch zur Verfügung.

Dr. Barbara Schramm, Fachanwältin für Familienrecht
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