Update virtuelle Hauptversammlung

Seit Ende März 2020 gelten infolge der COVID-19-Pandemie Erleichterungen für die Durchführung von Gesellschafter- und Hauptversammlungen. Die Regelungen waren ursprünglich bis zum 31.12.2020 befristet, wurden dann aber bis zum 31.12.2021 verlängert (siehe dazu meinen Beitrag „Erleichterungen bei der Durchführung von Gesellschafter- und Hauptversammlungen“).

Werden ab dem 28.02.2021 virtuelle Hauptversammlungen durchgeführt, so ist zu berücksichtigen, dass durch eine Gesetzesänderung (BGBl. 2020 I, 3328, 3332 f.) die Aktionärsrechte gestärkt wurden und somit durch Gesellschaften zusätzliche Voraussetzungen einzuhalten sind.

Zusammengefasst handelt es sich um folgende Änderungen:
• Der Aktionär hat ein Fragerecht (bislang: „Fragemöglichkeit“);
• Der Aktionär muss Fragen bis spätestens einen Tag vor der Hauptversammlung auf elektronischem Weg stellen können (bislang: bis spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung);
• Anträge oder Wahlvorschläge von Aktionären, die vorab gem. § 126 oder § 127 AktG zugänglich gemacht wurden, gelten unter bestimmten Voraussetzungen als in der Hauptversammlung gestellt (sog. Fiktionsregelung; in der Praxis wurde dies teilweise bereits in dieser Weise gehandhabt).

Fragerecht: Aufgrund des Fragerechts (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 COVMG n.F.) ist der Vorstand der Aktiengesellschaft verpflichtet, die Fragen der Aktionäre in der virtuellen Hauptversammlung zu beantworten (bislang stand es in seinem pflichtgemäßen Ermessen, „Ob“ und „Wie“ er die Fragen beantwortet). Nunmehr entscheidet der Vorstand nach „pflichtgemäßem, freiem“ Ermessen, wie er Fragen beantwortet (§ 1 Abs. 2 Satz 2 COVMG n.F.). Zulässig ist es aber weiterhin, gleiche oder ähnliche Fragen verschiedener Aktionäre zusammengefasst zu beantworten.
In der Praxis ist im Einzelfall auch zu entscheiden, unter welchen Umständen keine Pflicht des Vorstands zur Beantwortung von Fragen besteht. Begrenzt wird das Auskunftsrecht dadurch, dass der Vorstand Auskunft nur über Angelegenheiten der Gesellschaft und über die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen geben muss, soweit die Auskunft zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Keine Pflicht zur Beantwortung von Fragen besteht ferner insbesondere im Falle eines Auskunftsverweigerungsrechts (§ 131 Abs. 3 Satz 1 AktG, z.B. wenn die Auskunft geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen).
Bei Verletzungen des Fragerechts bleibt es aber wie bislang dabei, dass nur bei Vorsatz der Gesellschaft eine Berechtigung zur Anfechtung besteht (§ 1 Abs. 7 COVMG).

Frist zur Einreichung von Fragen: Die Fragen können bis einen Tag vor der Hauptversammlung durch den Aktionär eingereicht werden (§ 1 Abs. 2 Satz 2 COVMG n.F.), wodurch sich die Vorbereitungszeit für die Gesellschaften verkürzt. Es ist wie auch bislang nicht erforderlich, dem an der virtuellen Hauptversammlung teilnehmenden Aktionär während der virtuellen Hauptversammlung ein Fragerecht einzuräumen oder eine Fragemöglichkeit zu eröffnen. Ein solches Fragerecht bzw. eine Fragemöglichkeit können aber gewährt werden, wobei dies jedoch die Vorbereitung der Hauptversammlung erschwert und im Einzelfall auch – etwa bei einer Vielzahl von Fragen – die Durchführung der Hauptversammlung verkomplizieren kann.

Fiktionsregelung: Anträge und Wahlvorschläge von Aktionären müssen nach allgemeiner Auffassung in der Hauptversammlung selbst gestellt werden, auch wenn sie vorher gemäß den Anforderungen von § 126 oder § 127 AktG zugänglich gemacht worden sind. Da die Aktionäre bei einer virtuellen Hauptversammlung aber im Regelfall (gemäß der durch die Gesellschaft festgelegten Regelungen für die Teilnahme) während der Hauptversammlung keine Anträge stellen können, wurde eine sog. Fiktionsregelung in das COVMG aufgenommen (§ 1 Abs. 2 Satz 3 COVMG n.F.): Wird ein Antrag oder ein Wahlvorschlag eines Aktionärs vor der Hauptversammlung gemäß § 126 oder § 127 AktG zugänglich gemacht, so gilt er als in der Hauptversammlung gestellt, sofern der Aktionär seine Legitimation nachgewiesen hat und er zu der Hauptversammlung ordnungsgemäß angemeldet ist. Bei den Anträgen und Wahlvorschlägen der Aktionäre handelt es sich z.B. um Vorschläge für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern oder um Gegenanträge hinsichtlich eines Vorschlags von Vorstand und Aufsichtsrat zu einem bestimmten Tagesordnungspunkt.

Mindestanforderungen virtuelle Hauptversammlung ab dem 28.02.2021: Die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung ist gemäß der gesetzlichen Neuregelung ab dem 28.02.2021 nur zulässig, sofern zumindest die nachfolgenden Voraussetzungen eingehalten werden, nämlich
(1) die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgt,
(2) die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,
(3) den Aktionären ein Fragerecht im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird und
(4) den Aktionären, die ihr Stimmrecht nach (2) ausgeübt haben, unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird.

Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, wie er Fragen beantwortet; er kann auch vorgeben, dass Fragen bis spätestens einen Tag vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind. Die Durchführung virtueller Hauptversammlungen bedarf wie auch bislang der Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 1 Abs. 6 COVMG).

Fazit: Für virtuelle Hauptversammlungen, die ab dem 28.02.2021 durchgeführt werden, haben sich einzelne Änderungen ergeben, die in der Praxis umzusetzen sind. Wie die virtuelle Hauptversammlung im Einzelfall zu organisieren ist, wird dabei maßgeblich von der Aktionärsstruktur und den Überlegungen der Organmitglieder abhängen.

Wir unterstützen Gesellschaften und Organmitglieder, Hauptversammlungen gemäß den derzeit aktuellen gesetzlichen Regelungen durchzuführen.

Dr. Irene Bayer, Fachanwältin für Steuerrecht
bayer@web-partner.de