Steuerhinterziehung in Millionenhöhe – sind Imbissbuden Gelddruckereien?
Wie andere Gastronomiebetriebe rücken auch Dönerimbisse als bargeldintensive Betriebe häufig in den Fokus des Finanzamts. Außenprüfungen, bei denen die Betriebsprüfer Auffälligkeiten oder Verstöße gegen die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten entdecken, führen dann zu unangenehmen Nachfragen bis hin zu einer Meldung der Auffälligkeiten an die Ermittlungsbehörden. Da sich die tatsächlichen Umsätze kaum verlässlich rekonstruieren lassen, schätzt das Finanzamt die Erlöse regelmäßig – mit teuren Folgen für den Steuerpflichtigen. So war es auch in dem Fall unseres Mandanten, der uns in den vergangenen Wochen und Monaten beschäftigte.
I. Feststellungen der Betriebsprüfung
Bei einem Betreiber zweier Dönerimbisse traf die Betriebsprüfung Feststellungen, die den Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung begründeten. Der Prüfer meinte, dass die Kasse nicht ordnungsgemäß geführt worden sei, der verbuchte Wareneinkauf hätte unerklärliche Lücken aufgewiesen, eine Geldverkehrsrechnung habe auf nicht erklärte Geldquellen hingedeutet und die Rohgewinnaufschlagsätze – das Verhältnis zwischen Wareneinsatz und Rohgewinn in Prozent – hätten sehr weit unter den üblichen Durchschnittswerten gelegen.
II. Weitere Ermittlungen
Aufgrund seiner Feststellungen erstattete der Betriebsprüfer Anzeige bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle, die Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohn- und Geschäftsräume des Imbissbetreibers beantragte. Im Zuge der Durchsuchung stießen die Fahnder auf Notizbücher des Imbissbetreibers mit handschriftlichen Vermerken. Die Steuerfahndung war der Ansicht, dass es sich bei diesen Aufzeichnungen um schwarz eingenommene Umsätze handelte.
III. Vorgehen der Steuerfahndung
Die Behörde zog daraus den Schluss, dass der Imbissbetreiber weitaus höhere Umsätze gemacht haben musste als bislang angegeben. Anhand von „Erfahrungswerten“ nahm die Steuerfahndung dann eine Schätzung vor, der sie einen Rohgewinnaufschlagsatz weit über dem Durchschnitt der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen zugrunde legte. Sie begründete das mit der außergewöhnlich guten Lage der Imbisse in der Nähe eines Stadtteilbahnhofs und der Tatsache, dass sich die Betriebe in einer Großstadt – laut Steuerfahndung in einer der „teuersten Städte weltweit“ – befanden.
Vor allem ging es dem Finanzamt darum, die angeblichen Umsatzerlöse, wie sie handschriftlich aufgezeichnet worden waren, bestätigt zu bekommen.
Mit ihren Hinzuschätzungen kam die Behörde auf einen Verkürzungserfolg bzw. Steuerschaden in Höhe von mehr als einer Millionen EUR. Der Imbissbetreiber hätte nach den Berechnungen der Fahndung allein in einem Jahr knapp 90.000 Döner mehr verkaufen müssen als er angegeben hatte.
IV. Verteidigung
Wir haben zunächst die Gegebenheiten vor Ort, vor allem die Lage der Imbisse und ihre Ausstattung, untersucht und die einzelnen Schritte der Zubereitung der Döner in den Imbissen dokumentiert. All diese Faktoren werden nämlich bei der Bildung eines Rohgewinnaufschlagsatzes relevant.
Die Steuerfahndung hat zuerst einmal unberücksichtigt gelassen, dass es auch innerhalb einzelner Stadtteile in einer Großstadt erhebliche Kaufkraftunterschiede geben kann. Wir konnten darlegen, dass in dem betreffenden Stadtteil, in dem sich die Betriebe unseres Mandanten befinden, eine erhöhte Arbeitslosigkeit und ein erhöhter Anteil an gefördertem Wohnungsbau vorliegt und damit auch die Kaufkraft pro Kopf geringer ist als in anderen Stadtteilen. Die Bevölkerung vor Ort holt sich gerade nicht jeden Tag etwas an einem Imbiss, sodass durchgehend lange Schlangen vor den Betrieben eher die Ausnahme als die Regel darstellen.
Ebenfalls widerlegen konnten wir die Annahme des Finanzamts, dass Geburtstags- oder andere Feierlichkeiten in den Imbissen stattfinden oder die Erlaubnis zur Übertragung von Fußballspielen die Umsätze signifikant steigern würden. Wer möchte seinen Geburtstag schon in einem Imbiss feiern, zwischen dem Geruch von Dönerfleisch, Zwiebeln und Pommesfett? Ebenso praxisfern ist der Gedanke, sich ein Fußballspiel in einem Dönerimbiss anzusehen. Allenfalls möchten sich Gäste nach dem Schauen eines Fußballspiels einen Döner holen – dies kollidiert zumeist jedoch mit den Öffnungszeiten der Betriebe.
Im Zuge unserer Verteidigung stießen wir auf einen Fernsehbericht, der die „perfekte Zusammensetzung“ eines Döners genauer unter die Lupe genommen hat. Dabei wurde der Döner einer großen Kette, die jährlich weit mehr als 100.000 Döner verkauft, als Referenzwert herangezogen. Es stellte sich heraus, dass ein Döner in der Regel mit ca. 150 Gramm Fleisch befüllt ist und insgesamt etwa 325 Gramm wiegt. Alle übrigen getesteten Döner wogen sogar weniger als der Referenzdöner. Die Döner unseres Mandanten hingegen wogen annähernd das Doppelte, weil er allein etwa die doppelte Fleischmenge in seine Döner füllte – Kundenwünsche nach einer extra Portion Fleisch unberücksichtigt. Auch die Menge an Gemüse war in den Dönern unseres Mandanten fast doppelt so groß, wie in dem Referenzdöner. Infolgedessen war auch sein Wareneinsatz erheblich höher. Darüber hinaus haben wir den Bratverlust des Fleisches durch Erhitzen berücksichtigt und wieviel Fleisch unser Mandant täglich entsorgen muss, weil es nicht mehr verkäuflich ist.
Durch eigene Berechnungen anhand des uns vorliegenden Wareneinsatzes kamen wir zu dem Ergebnis, dass unser Mandant von den errechneten fantastischen Umsätzen der Betriebsprüfung weit entfernt war. Anstatt dem Steuerpflichtigen pauschal außergewöhnlich hohe Umsätze zu unterstellen, sollte die Behörde zunächst einmal eine konkrete Einzelfallbetrachtung vornehmen und sich nicht lediglich auf angebliche Erfahrungswerte stützen, die in der finanzbehördlichen Amtsstube erdacht wurden. Wenn die Behörde dem Steuerpflichtigen schon außergewöhnlich hohe Umsätze unterstellen will, dann sollte sie auch den Einzelfall berücksichtigen und sich nicht auf angebliche Erfahrungswerte stützen, auf die sie sich in der finanzbehördlichen Amtsstube festgelegt hat. Auch der naheliegende Faktor des Warenverderbs, der – und diese Erfahrung müsste die Behörde naturgemäß ebenso haben – in jedem gastronomischen Betrieb zum Tragen kommt, blieb gänzlich unberücksichtigt. Dönerspieße dürfen nach den Leitlinien für Lebensmittelhygiene am Folgetag nicht mehr verkauft werden. Für Imbissbetreiber ergeben sich deshalb bisweilen hohe Risiken. Sie müssen stets abwägen, ob sie spätnachmittags noch einen Spieß in die Garvorrichtung hängen und eventuell größere Mengen Fleisch entsorgen, oder ob man über ihren Imbiss sagt, dass man dort ab einer gewissen Uhrzeit sowieso nichts mehr bekäme. Die Betreiber entscheiden sich regelmäßig für das Risiko höheren Warenverderbs. Nach Abschluss der Ermittlungen konnten wir schließlich nachweisen, dass sich die Behörde verkalkuliert hat und die Umsätze – und damit auch der Verkürzungserfolg der Steuerhinterziehung – weitaus geringer waren als zunächst unterstellt.
Wir unterstützen Gastronomen und andere Unternehmer, steuerliche Unregelmäßigkeiten zu korrigieren und verteidigen sie auch im Ermittlungsverfahren und vor Gericht gegen den Vorwurf der Steuerhinterziehung.
Michael Oberbörsch,
oberboersch@web-partner.de