Ist der Solidaritätszuschlag verfassungsgemäß?

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 17. Januar 2023 entschieden, dass die Erhebung des Solidaritätszuschlags für die Veranlagungszeiträume 2020 und 2021 weiterhin rechtmäßig sei. Durch die Ergänzungsabgabe solle ein zusätzlicher Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern abgedeckt werden. Es sei verfassungsrechtlich nicht geboten, den Solidaritätszuschlag von vorneherein zu befristen oder lediglich für einen kurzen Zeitraum zu erheben.

Der ab 1995 eingeführte Solidaritätszuschlag diene der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Belastungen. Gemäß der Entscheidung des BFH ist es auch unerheblich, ob die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag zweckgebunden für den „Aufbau Ost“ verwendet worden seien, denn die Entscheidung darüber, welche Aufgaben wann in Angriff genommen werden und wie sie finanziert werden sollen, sei Teil der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich grundsätzlich einer gerichtlichen Nachprüfung entziehe. Auch in den Jahren 2020 und 2021 habe trotz des Auslaufens des Solidarpakts II ein wiedervereinigungsbedingter Mehrbedarf des Bundes bestanden.

Eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe könne jedoch dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgebend waren, grundlegend ändern, z.B. weil der mit der Erhebung verfolgte Zweck erreicht ist und die Ergänzungsabgabe nicht wegen eines anderen Zwecks fortgeführt werden soll oder weil eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden sei. Die Verfassungsmäßigkeit der Ergänzungsabgabe werde jedoch erst zweifelhaft, wenn die Änderung der Verhältnisse eindeutig und offensichtlich feststehe. Diese Voraussetzungen sah der BFH in dem entschiedenen Fall nicht als gegeben an.

Auch seien durch die Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf die Bezieher „höherer Einkommen“ deren Rechte nicht verletzt worden; insbesondere liege kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) vor, da der Gesetzgeber beim Solidaritätszuschlag, der im wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen könne. Daher sei es zulässig, diesen auf Steuerpflichtige mit hohen Einkünften zu beschränken.
Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht war aus Sicht des BFH nicht geboten, da er nicht von der Verfassungswidrigkeit des betreffenden Gesetzes überzeugt war.

Historie der Erhebung des Solidaritätszuschlags

Der Solidaritätszuschlag stellt eine Ergänzungsabgabe dar, der als Zuschlag zur Einkommensteuer, zur Körperschaftsteuer und zur Kapitalertragsteuer erhoben wird. Er wurde mit Wirkung zum 1. Juli 1991 eingeführt, um die Kosten durch den Krieg am Golf zu finanzieren sowie für die finanzielle Unterstützung der Länder in Mittel-, Ost- und Südosteuropa und der Bewältigung zusätzlicher Ausgaben in den „neuen Bundesländern“. Die Erhebung des Solidaritätszuschlags war auf ein Jahr befristet. Seit 1995 wird der Solidaritätszuschlag zur „Finanzierung der Vollendung der Einheit Deutschlands“ unbefristet erhoben und zwar in Höhe eines Zuschlags von 7,5%; seit 1998 in Höhe von 5,5%.

Mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2021 wird der Solidaritätszuschlag lediglich von einem Teil der Steuerpflichtigen erhoben, die Einkommensteuer entrichten müssen; von 90 Prozent der Zahler von Einkommensteuer wird dieser nicht mehr erhoben. Keine Änderung wurde jedoch u.a. bei der Körperschaftsteuer vorgenommen.

Solidarpakt I und II

Zur Finanzierung von Sonderlasten und Kosten aus der Wiedervereinigung erhielten im Rahmen des Länderfinanzausgleichs die ostdeutschen Bundesländern Sonderzuweisungen des Bundes. Diese Sonderzuweisungen erfolgten von 1995 bis Ende 2019 (Solidarpakt I und II).

Bewertung des BFH-Urteils

Die Frage, ob die Erhebung des Solidaritätszuschlags als verfassungsgemäß anzusehen ist, wird im Schrifttum überwiegend verneint. Insbesondere stellt sich die Frage, ob es sich bei den verbleibenden wirtschaftlichen Lasten aufgrund der Wiedervereinigung um eine Daueraufgabe handelt, die nicht durch eine Ergänzungsabgabe finanziert werden darf. Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht über die durch andere Parteien eingelegte Verfassungsbeschwerde (Az. 2 BvR 1505/20) entscheiden wird.

Die Erhebung des Solidaritätszuschlags stellt auch für die Wirtschaft eine Belastung dar, da etwa körperschaftsteuerpflichtige Unternehmen (z.B. GmbH, AG) weiterhin verpflichtet sind, den Solidaritätszuschlag zu entrichten. Der Solidaritätszuschlag erhöht die steuerliche Belastung für Bürger und Unternehmen. Der großzügige Umgang des BFH mit der Verfassung über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung enttäuscht Laien wie Experten und belastet den Wirtschaftsstandort Deutschland zusätzlich.

Frieder Backu,
Fachanwalt für IT-Recht, Fachanwalt für Steuerrecht
backu@web-partner.de

Dr. Irene Bayer,
Fachanwältin für Steuerrecht
bayer@web-partner.de